Ich fühle mich leicht. Federleicht sogar. Gerade habe ich einen Text gelesen, der mich sehr berührt hat, denn er beschrieb ziemlich genau meinen eigenen Zustand während einer der schwierigeren Phasen meines Lebens. Mit der Schreiberin fühle ich mich zutiefst verbunden. Schwestern im Geiste und im Herzen sozusagen.
Vor schwierigen Phasen ist man ja bis an sein Lebensende nicht gefeit. Im Unterschied zu damals weiß ich heute aber, dass ich auch solche Phasen überstehen werde. Und ziemlich wahrscheinlich sogar gestärkt und wieder ein bisschen weiser daraus hervorgehe. Auch das macht mich leicht und froh. Und, weil mir bewusst ist, auf welch liebevolle Weise ich mich selbst inzwischen betrachten und energetisieren kann.
Manchmal bin ich noch überrascht und kann kaum glauben, wie froh und leicht ich mich jetzt oft fühle. Gerade in letzter Zeit. Kenne ich die Schwere, diese Melancholie der Seele, doch viel besser. Sie war mein Begleiter über Jahre und ich dachte schon, dass sie mich garnicht mehr los lässt. Aber gerade in letzter Zeit schickt sich die Leichtigkeit an, die Schwere abzulösen. Und oftmals ist nichts weiter nötig als das Irdisch-Erdische um mich herum wahrzunehmen. Mit dem Herzen zu atmen, damit diese ganz besondere Energie des Irdisch-Erdischen - im Gegensatz zum Weltlichen - in mich eintreten kann. Um mich selbst zu spüren.
Wie gestern zum Beispiel, bei meinem Ausflug zur Meeresbucht...
Ich passierte mit meiner Challenger – so heißt mein bescheidenes Aufblas-Kajak – wieder einmal das kleine rosafarbene Fischer-Häuschen mit den weißen Fensterläden in vorderster Meereslinie, welches vom ersten Augenblick an mein Herz im Sturm eroberte. Neben den so viel protzigeren Villen stach mir seine ganz besondere Strahlkraft sofort ins Auge bzw. traf mich mitten in meiner Seele. Vielleicht, weil es sich so unmittelbar in vorderster Meereslinie in den Hang fügt. Verwachsen mit Meer und Strand und Land scheint. Oder vielleicht deswegen, weil es im Gegensatz zu den sehr viel größeren Häusern rundherum dasjenige ist, das tatsächlich mit Leben gefüllt ist. Ja, das spüre ich tatsächlich... Ich spüre es just im gleichen Moment, wo selbige Gedanken auftauchen in mir... ich schaue und beobachte...
Da ist zunächst das ältere Paar, das fast das ganze Jahr in dem Häuschen zubringt. Den alten Mann sehe ich in den frühen Morgenstunden mit einer Tasse Kaffee am Gartentisch sitzend, den Blick aufs offene Meer hinaus gerichtet. Manchmal liest er auch ein Buch oder die Zeitung. Oft erscheint die Frau für einen Augenblick und sie reden miteinander oder schauen gemeinsam in die Ferne. Am Anfang der Saison kommen immer einmal Freunde vorbei. Sie lachen und gestikulieren und helfen bei den Renovierungsarbeiten am Haus. Über das Jahr verteilt reisen dann die Kinder und Enkelkinder an. Es ist ein Kommen und Gehen, gleich den Wellen des Ozeans. Wellen der Lebensfreude, die ich draußen auf meinem Kajak ganz deutlich spüre. Leichtigkeit! Indem ich wahrnehme, was draußen vor sich geht, bin ich ganz bei mir. Fühl-Gedanken... In einem bin ich mir inzwischen ganz sicher: dieses Häuschen hat eine Seele.
Ganz erstaunt war ich im Moment dieser Erkenntnis, draußen auf dem Meer herumschaukelnd. Dachte ich bis dahin doch, dass nur das Irdische, das von Gott geschaffene, eine Seele hat, wurde mir bewusst, dass auch Objekte beseelt sein können. Oder anders ausgedrückt, dass der beseelte Mensch imstande ist, beseelte Objekte zu erschaffen. Und so kann selbst ein Haus zu etwas Lebendigem werden. Dieser Gedanke machte mich so leicht und frei, dass ich mich wie eine Feder fühlte, schon dachte, dass der Windhauch, der mir gerade die Wangen kühlte, mich aufwirbeln und mit hinauf nehmen könnte in die Lüfte. Und aufs Neue durchströmte mich eine Welle von Leichtigkeit, von Freiheitsgefühl beim Denken dieses Gedankens. Ja, Freiheit ist der Zwilling von Leichtigkeit... Ein Gedanke, den mir vielleicht der Wind eingeflüstert hatte... Ein Fühl-Gedanke...
Leicht, frei und gleichzeitig geborgen fühle ich mich auch während meiner hell-nachtwachen Stunden. Tatsächlich kommt es durchaus öfter vor, dass ich nachts wach liege. Wach geworden, nicht wegen Problemgetürm in meinem Kopf, Bauchschmerz oder Migräne, nicht, weil die Schulter oder der Ischias oder die Nebenwirkungen einer Erkältung mich plagen, sondern aus einem anderen, mir immer noch etwas rätselhaften Grund...
Ich bin selten so bei mir, wie in diesen Momenten. Absolute Stille. Nur manchmal ein Rascheln draußen vor dem Fenster. Ob es eine der Katzen ist oder der Fuchs? Oder vielleicht wieder eines der Wildschweine? Im Sommer erfüllt bis weit in die Nacht hinein das Zirpen der Zikaden - oder sind es die Grillen? - den Raum. Manchmal das uhuuu eines Uhu oder der wundersame Ruf einer Geburtshelferkröte. Dazu der Sternenhimmel.... Sirius verstreut sein leuchtend Licht großzügig direkt vor meinem Fenster. Wunderschön ist das. Und so beruhigend. Auch der Gedanke, dass alle Menschen, bei denen es jetzt Nacht ist, den gleichen Sternenhimmel sehen können wie ich gerade. Vielleicht guckt ja jemand in diesem Moment ebenfalls hinaus bzw. hinauf zu Sirius. Und während ich das denke, durchströmt sie mich ganz heftig, diese Leichtigkeit, diese Glückseligkeit. Fühl-Gedanken... Von der Herzmitte ausgehend überzieht mich Wärme. Das ist Heimat.
Nachts, wann gute Geister schweifen,
Schlaf dir von der Stirne streifen,
Mondenlicht und Sternenflimmern
Dich mit ewigem All umschimmern,
Scheinst du dir entkörpert schon,
Wagest dich an Gottes Thron.
Johann Wolfgang von Goethe
Gleiches während meiner Spaziergänge in der Natur, die direkt vor mir ausgebreitet ihr anheimelndes Antlitz entfaltet mit ihren in die Höhe strebenden Wipfeln hunderter Korkeichen und Pinien. Der Geruch von Waldboden... von wildem Rosmarin und Schopflavendel am Wegesrand. Zistrosensträucher welche die Lichtungen zieren...
So viel Leichtigkeit, so viel Freiheit, so viel Freude.
ICH BIN.
Eins mit allem, was mich umgibt.
Der Text entstand aufgrund eines “Aufrufs” vom Journal DIE FREIEN, einen Text einzusenden zu der Frage: “Wann fühlen Sie sich leicht”.
Hier zum Artikel von Lilly Gebert, welchen sie aus den Zuschriften – wie immer mit dem ihr eigenen Feingefühl und Gespür, das Tiefgründige herauszufiltern – kreiert hat: